Aktuelles
Über die
weltlichen Freuden im Mittelalter
9.2.2011
|
|
Mittelalter
– war es golden, war es finster? Jedenfalls gab es fröhliche Musik. Wie
fröhlich und vielfältig die weltliche Musik des Mittelalters war, konnte man
vergangenen Sonntag beim Konzert des Projektchores Madrigale erleben. Birgit
Menigat moderierte die musikalische Zeitreise durch rund 1000 Jahre mit
Trinkliedern und weltlichen Weisen, genannt Madrigale, mit vielen
Informationen, die den Genuss abrundeten. Der Projektchor hatte sich 2008 für
die 775-Jahr-Feier von Ehlhalten unter der Leitung von Enikö Szendrey
zusammengefunden.
Heute ist
Madrigale ein begeisterter kleiner Chor, der seit 2010 Teil des Kulturkreises
ist und sich dem mittelalterlichen Liedgut verschrieben hat. „Wir können noch
bis auf 20 Mitglieder anwachsen“, wirbt Szendrey um Sänger, die sich mit Leib
und Seele dem Gesang widmen möchten. Denn der Chor probt nur einmal im Monat,
neues Liedgut wird als Hausaufgabe einstudiert. Noten lesen sei nicht nötig,
nur Enthusiasmus und Spaß am Singen. Den vermittelte die quirlige Chorleiterin
mit ihrer Gruppe schon beim ersten Lied. Die fünf Männer und acht Frauen zogen
das Publikum der vollbesetzten Ehlhaltener Pfarrscheune schnell in ihren Bann.
Die Texte für die Musik jener Zeit behandelten das tägliche Leben, schaute
dabei den Leuten „auf's Maul“ und war entsprechend derb und sprach recht direkt
über Liebe und Lust. Bei den lustigen Liedern wie jenem über die Gänse, die mit
ihrem Geschnatter Sankt Martin verrieten und deshalb zu Recht ihr Ende in Topf
und Bratröhre nahmen, sprang der Funke vollends aufs Publikum über. Das
fröhliche Geschnatter des vielstimmigen Gesangs riss genauso mit, wie die pantomimischen
Einlagen von Szendrey beim Lied über den Floh.
Gänsehaut ganz anderer Art stellte sich bei dem Vortrag des ersten Merseburger
Zauberspruchs ein, der von Professor Richard Rudolf Klein extra für den
Madrigalchor vertont wurde. Klein schreibt viel Chormusik für Szendreys Chöre.
„Am liebsten vertont er Texte für uns“, beschreibt sie seine
Kompositionsarbeit. Den ersten Merseburger Zauberspruch hat er jedenfalls in
zauberhafte Musik verwandelt. Das Ergebnis genoss der 89-jährige Klein, der in
der Nachbargemeinde Schloßborn lebt, in der ersten Reihe.
In dem Zauberspruch geht es um die Idisen, die auf dem Schlachtfeld gefangene
Krieger von ihren Fesseln befreien. Sie traten in drei Gruppen auf und einige
machten sich auch an den Fesseln des Volkes zu schaffen. Der Spruch öffnete die
Fesseln und ermöglichte die Flucht. Die Darbietung dieses durchaus sehr
politisch gemeinten Liedes versetzte in eine geradezu mystische Stimmung.
Ganz so einfach wie der Zauberspruch die Fesseln öffnete, war das Spielen der altertümlichen
Instrumente Krummhorn und Cornamuse sicherlich nicht. Anne Annau aus Bremthal
hat sich das Spiel auf der Cornamuse, einem Holzblasinstrument mit
Doppelrohrblatt ähnlich der Oboe, selbst beigebracht. Sie ließ die Zuhörer
gemeinsam mit Doris Annau am Krummhorn in die instrumentale Welt der damaligen
Zeit eintauchen.
Stimmungsvoll und für alle Sinneswahrnehmungen gedacht, war die gesamte
Veranstaltung. Die Fachwerkscheune war mittelalterlich von Andrea Sommer
dekoriert und mit Tonkrügen und einem Spinnrad aus dem historischen Hausstand
von Angelika Reinicke ausgestattet worden. Sie ist, genau wie einige der
anderen Mitglieder von Madrigale in der Ritterszene aktiv. Nach dem Konzert
lockten der damaligen Zeit nachempfundene Lombardische Suppe und Brei zum
Verweilen und Plaudern. Zu Erasmus Widmanns Lied „Vinum schenkt ein“, verteilte
Johanna Annau Met an die Gäste, die jedoch bis zum Lied „Toss the Pot“ von
Thomas Ravenscroft mit dem Genuss warten mussten. Ganz im Sinne der damaligen
Zeit leistete auch das Publikum seinen gesanglichen Beitrag. „Sah ein Knab ein
Gläslein stehn“, lautete die Parodie auf das Lied mit dem Röslein, das die
Gäste erstaunlich gut und voluminös zu Besten gaben.
Wer den Chor gerne nochmals live erleben möchte, hat am 21. Mai dazu
Gelegenheit. Er tritt während des Altstadtfestes mit mittelalterlichem Markt
auf, den die TSG Eppstein zu ihrer 150-Jahr-Feier organisiert. ffw
|
|
Anne,
Doris und Martin Annau musizierten in mittelalterlichen Kostümen auf
Cornamuse, Krummhorn und Flöte. Fotos: Frerichs-Waldmann |
|
|
|
Temperamentvoll:
Chorleiterin Enikö Szendrey. |