PROGRAMM |
Fröhliche Lieder über Quälgeister, die Liebe und den Wein
Weltliche Gesänge standen auf dem Programm.
Mit einem musikalischen Rückblick auf die zehnjährige Chorgeschichte stimmten die zwölf Sängerinnen und Sänger des Mittelalterchors Madrigale ihre Zuhörer auf das Konzert in der Pfarrscheune in Ehlhalten ein.
Unter der Leitung von Ennikö Szendrey ließen sie zur Melodie eines Landsknechtsliedes aus dem 16. Jahrhundert die Anfänge bei der 775-Jahr-Feier in Ehlhalten vor genau zehn Jahren, Auftritte bei zahlreichen Festen, Märkten, Hochzeiten und Geburtstagen Revue passieren. Sabine Russ, Sängerin bei Madrigale, hatte den Rückblick gedichtet.
Mit „Viva la Musica“ von Michael Praetorius begann der Chor seinen Liederreigen, der durch die Jahreszeiten führte. Tanzlieder zeichneten den Herbst aus. Das Lied „Auf die Martinsgans“, im Kloster Lambach im 14. Jahrhundert verbürgt, wies auf die fälligen Steuern, den Zehnten hin, den die Bauern zu Beginn des Winters entrichten mussten. Hund, Katze, Eule und Kuckuck fielen zu einem lebhaften „Contrapunto Bestiale“ aus der Renaissancezeit ein. Flöhe und Mäuse wurden als allgegenwärtige Quälgeister, Kuckuck und Nachtigall als Symbolfiguren für den Frühling oder die Liebe in vielen weltlichen Liedern besungen.
Das älteste Lied ihres Repertoires, der Erste Zauberspruch aus dem Codex Merseburg aus dem 9. Jahrhundert, übernahm der Chor in einer Fassung der Mittelaltergruppe „Ougenweide“ und sang die beschwörenden Worte „insprinc haptbandun, inuar uigandun – entspring den Banden, entflieh den Feinden“.
Mit einem fröhlichen „Summer is icumen in“ des englischen Komponisten William Byrd leitete der Chor zum Finale über: Zwei bekannte Lieder aus der mittelalterlichen Textsammlung Carmina Burana, die Madrigale nicht in der Orff‘schen Fassung, sondern mit einer neuen, nach alten Dokumenten rekonstruierten Melodie vortrug. „Statt einer Notenschrift gibt es für mittelalterliche Melodien rhythmische Vorgaben, die auf Melodie und Rhythmus schließen lassen“, führte die Chorleiterin aus, warum es so schwierig ist, mittelalterliche Musik historisch getreu zu rekonstruieren. Der Name des Chors geht übrigens genau auf diese Musik zurück: Madrigal oder Singgedicht wird der mehrstimmige, weltliche Gesang in der Renaissance genannt.
Einmal im Monat treffen sich die Chormitglieder zu den Proben. Sie kommen nicht nur aus Eppstein, wo der Chor gegründet wurde, sondern inzwischen aus dem gesamten Rhein-Main-Gebiet. „Bis zu den Proben haben alle Text und Melodie schon mit Hilfe eines Übungsprogramms einstudiert“, sagt Szendrey. Nur dank der Eigeninitiative der einzelnen Sängerinnen und Sänger sei es möglich, bei so wenigen Proben immer wieder neue mittelalterliche Lieder einzustudieren. Drei neue Sänger habe der Chor im vergangenen Jahr auf diese Weise integriert.
Sängerin Ute Udluft kann zur Zeit zwar nicht mitsingen, kam aber trotzdem in ihrem Mittelaltergewand zum Konzert und half in der Küche mit, einen kleinen Imbiss für die Geburtstagsfeier des Chors anzurichten.
Den nächsten öffentlichen Auftritt in Eppstein hat Madrigale beim Weihnachtsmarkt mit mittelalterlichen Weihnachtsliedern. Außerdem bereitet er sich aufs Stadtjubiläum 2018 vor. „Beim Mittelaltermarkt in Ehlhalten wollen wir auf jeden Fall dabei sein“, sagt Enikö.
Sopran und Tenor wünscht sich die Chorleiterin noch stärker besetzt. „Dann hätten wir bei einigen mehrstimmigen Liedern noch mehr Fülle“, sagt sie. Durch geschickte Aufstellung der Sänger, die je nach Lied auch verändert wird, bekomme jedes Lied trotz des eher kleinen Chors seine eigene Klangfärbung.
Interessenten, die bei Madrigale mitsingen möchten, finden den Chor Madrigale im Programm des Kulturkreises oder im Internet unter www.kk-eppstein.de und www.enikoe.net.
Aufgelockert wurde das Konzert durch Instrumentalstücke von Anne und Doris Annau auf ihren historischen Blasinstrumenten: Auf der Cornamuse und dem Krummhorn, zwei mit Oboe und Fagott verwandten Doppelblatt-Blasinstrumenten, intonierten sie mittelalterliche Melodien. Nach dem Konzert reichten die Helfer des Chors passend zur Zugabe, einem mittelalterlichen Weinlied, Met und Hippokras – Honigwein und Gewürzwein – wie er schon im Mittelalter ausgeschenkt wurde und Lombardische Suppe und Schmalzbrot.
bpa - Eppsteiner Zeitung 20.902014
Diese Sänger leben das Mittelalter
Mit einer Fanfare, geblasen von den Stufen der alten Pfarrscheune in Ehlhalten, rief Sänger Martin mit seinem Krummhorn akustisch zum Konzert des Chores „Madrigale".
Ziemlich genau vor zehn Jahren trafen sich etwa 20 Interessierte zur ersten Probe im historischen Gemäuer.
2007 trafen sich die Sängerinnen und Sänger rund um die Chorleiterin Enikö Szendrey zum ersten Mal, um Lieder für das Ortsjubiläum in Ehlhalten einzuüben.
Dieser Auftritt führte zur Gründung von „Madrigale". Seither erklingen mindestens einmal pro Monat die mehrstimmigen weltlichen Gesänge.
Neben der Musik liegen der Gruppe aber auch die Lebensart und die Kleidung aus der längst vergangenen Zeit am Herzen. „Wir leben das Mittelalter", sagt Chorleiterin Enikö Szendrey, „das, was Sie sehen, ist keine Verkleidung."
Die meisten Chormitglieder stellen ihre außergewöhnlichen, historisch anmutenden Kostüme selber her, besuchen Mittelaltertreffen und sind im Laufe der Zeit echte Mittelalter-Experten geworden.
Die Liedform fordert von den Sängern eher solistische Qualitäten, denn im Gegensatz zum klassischen Chorgesang sind die einzelnen Singstimmen nur mit ein bis zwei Personen besetzt. Bei einem traditionellen Chor teilen sich mehrere Sänger die Aufgaben innerhalb einer Stimme. Mit viel Leidenschaft entwickelt die Truppe um die in Ungarn geborene Musikpädagogin ihre Fähigkeiten und ihr Repertoire weiter. Das Wichtigste aber ist ihnen die Freude an der Musik. Das bestätigen auch die rund 50 Besucher des Geburtstagskonzertes in der Pfarrscheune.
Chor und Publikum sangen zum Schluss gemeinsam „Hejo, spann den Wagen an" im Kanon, bevor der Abend mit Met und Leckereien ausklang.
Wer Lust hat, den Chor zu unterstützen, ist willkommen: Zur Verstärkung werden noch ein oder zwei Tenöre sowie ein hoher Sopran gesucht. Wer Interesse hat, meldet sich per Mail unter: canticles@t-online.de.
mkn für Hoechster Kreisblatt 20.09.2017